Du bist enterbt! Was der Pflichtteil bedeutet

Ehepartner oder nahe Verwandte komplett zu enterben, ist nur in den seltensten Fällen möglich: Das Gesetz sichert ihnen einen Anspruch auf den sogenannten Pflichtteil zu. Auch für die Inanspruchnahme, den Verzicht und den Ausschluss vom Pflichtteil gibt es festgelegte Regeln und Fristen.

Du bist enterbt! Was der Pflichtteil bedeutet

Der Gesetzgeber schützt Ehegatten und Kinder vor einer kompletten Enterbung

Wer seinen Ehepartner, eines seiner Kinder oder deren Abkömmlinge enterben möchte, sollte bedenken, dass diese in der Regel trotzdem Anspruch auf den sogenannten Pflichtteil haben. So ist es im Bürgerlichen Gesetzbuch unter § 2303 festgelegt, damit überlebende Ehegatten oder eingetragene Lebenspartner, Kinder und Kindeskinder nicht leer ausgehen, egal welche Konflikte es vorher gegeben haben mag und ganz egal, ob der Erblasser seine nahen Angehörigen im Testament bedacht hat oder nicht. Für den Fall dass es keine (ehelichen oder unehelichen) Abkömmlinge oder Adoptivkinder gibt, dann haben die Eltern des Erblassers Anspruch auf den Pflichtteil, sofern sie noch leben sollten.

Kurz gesagt: Der Pflichtteilsanspruch ist ganz unabhängig von der Verfügung, die jemand in seinem Testament getroffen haben mag. Er ist gesetzlich festgelegt und lässt sich daher nicht einfach umgehen.

Wie hoch ist der gesetzliche Pflichtteil und wie kann er ausgezahlt werden?

Der Pflichtteil am Erbe beträgt die Hälfte des gesetzlichen Erbteils. Um die Höhe seines Anspruchs herauszufinden, muss man also den Gesamtwert des Nachlasses und die Höhe der eigenen Erbquote kennen und letztere dann halbieren.

Beispiel: Eine verheiratete Mutter hat in ihrem Testament ihren Sohn als Alleinerben eingesetzt. Bei ihrem Tod hinterlässt sie ein Vermögen in Höhe von 100.000 Euro. Ihr Ehemann (mit dem sie im gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft lebte) hätte nach der gesetzlichen Erbquote Anspruch auf die Hälfte des Vermögens, also 50.000 Euro. Der Pflichtteilsanspruch des Ehemanns beläuft sich auf die Hälfte des Werts der gesetzlichen Erbquote, also auf 25.000 Euro, die er von dem als Alleinerben benannten Sohn einfordern kann.

Übrigens: Der Pflichtteil muss nicht unbedingt in Form von Geld ausgezahlt werden: Möglich ist auch eine Zuwendung in Form von Naturalien wie Grundstücken, Häusern oder Gegenständen.

Wie ist das bei Trennung, Scheidung und Wiederheirat?

Wenn Ehepartner geschieden sind, erlischt der Pflichtteilsanspruch des länger lebenden Partners. Gleiches gilt, wenn der verstorbene Partner entweder bereits dem Scheidungsverfahren zugestimmt oder selber einen gerichtlichen Antrag auf Scheidung gestellt hat. Im Trennungsjahr hingegen besteht der Pflichtteilsanspruch noch – und das sogar, wenn es bereits ein neues Testament gibt, in dem der Verstorbene den getrennt lebenden Ehepartner enterbt.

Wie geht man vor, wenn man seinen Pflichtteilsanspruch geltend machen will?

Grundsätzlich sollte man erst einmal klären, ob man tatsächlich anspruchsberechtigt ist und ob der Anspruch nicht bereits verjährt ist. Als Nächstes sollten Sie bei den Erben Informationen über den Nachlass einholen. Pflichtteilsberechtigte haben ein Recht auf Auskunft über den Nachlassbestand sowie über Schenkungen, die vor dem Erbfall stattgefunden haben. Ebenso haben sie Anspruch auf die Ermittlung des Nachlasswerts.

Oft empfiehlt es sich, rechtlichen Beistand in Anspruch zu nehmen, um den Pflichtteil erfolgreich einzufordern.

Sind irgendwelche Fristen zu beachten, um den Pflichtteil einzufordern?

Pflichtteilsansprüche haben eine Verjährungsfrist von 3 Jahren. Doch wann beginnt diese Frist, etwa mit dem Tod des Erblassers? Nicht unbedingt: Ausschlaggebend ist zunächst der Zeitpunkt, an dem man als Pflichtteilsberechtigter vom Tod des Erblassers erfährt und davon, dass man enterbt wird oder Anspruch auf ein höheres Erbteil hat, als einem zugestanden wurde. Fristbeginn ist das Ende des Jahres, in dem man diese Informationen erhalten hat. Nun hat man drei Jahre Zeit, den Pflichtteil einzufordern. Außerdem gilt eine Frist von 30 Jahren ab Tod des Erblassers, innerhalb der man einen Anspruch geltend machen kann. Erfahren Sie also beispielsweise erst nach 35 Jahren vom Tod des Erblassers und einer für Sie nachteiligen Erbregelung, dann ist Ihr Anspruch auf den Pflichtteil bereits erloschen.

Wenn die Auszahlung des Pflichtteils Probleme bereitet: die Stundung des Pflichtteils

In vielen Fällen haben Erben Schwierigkeiten, den Pflichtteil unmittelbar auszuzahlen, gerade wenn der Nachlass vor allem aus Immobilien besteht. Verfügt ein Erbe nicht über genügend finanzielle Reserven, so könnte ein Notverkauf der Immobilie die Folge sein. Um Härtesituationen dieser Art zu vermeiden, gibt es die gesetzliche Möglichkeit der Stundung. Allerdings wird in jedem Einzelfall geprüft, ob ein Anspruch auf Stundung des Pflichtteils besteht. Dafür wird zum einen geprüft, ob dem Erben durch eine sofortige Pflichtteilsauszahlung eine „unbillige Härte“ entsteht, zum anderen werden die Interessen von Erben und Pflichtteilsberechtigten gegeneinander abgewogen.

Der Pflichtteilsverzicht

Wer auf seinen Pflichtteil verzichten möchte, muss dies in einer formellen Erklärung vor einem Notar oder einem anderen qualifizierten Zeugen tun. Mit dieser Erklärung kann man freiwillig vom gesetzlichen Pflichtteilsanspruch zurücktreten – zu Lebzeiten des Erblassers oder nach dessen Tod. Es gibt jedoch auch Einschränkungen: Minderjährige oder Menschen, die unter einer psychischen Störung leiden, dürfen keine Verzichtserklärung abgeben. Ein zu Lebzeiten des Erblassers notariell geregelter Pflichtteilsverzicht wird oft durch eine Abfindung abgegolten: Der Anspruchsberechtigte erhält eine bestimmte Summe Geldes und tritt damit alle späteren Ansprüche auf das Erbe ab. Der Erblasser kann nun seinen Nachlass regeln, wie er möchte. Natürlich setzt eine solche Vereinbarung voraus, dass beide Seiten – Erblasser und Pflichtteilsberechtigter – mit der Regelung einverstanden sind. Allerdings ist ein Pflichtteilsverzicht nicht unumkehrbar, sondern kann unter bestimmten Umständen widerrufen werden, beispielsweise wenn der Verzichtende sich in einer prekären finanziellen Lage befindet oder wenn der Erblasser den Pflichtteilsverzicht durch List oder Täuschung erlangt hat.

Auch für einen Pflichtteilsverzicht ist es ratsam, sich anwaltlich beraten zu lassen. So lässt sich sicherstellen, dass alle Anforderungen erfüllt werden und die Erklärung rechtlich wirksam ist.

Eine Alternative für den Pflichtteilsverzicht: die Schenkung

Eine Schenkung ist eine mögliche Alternative für den Pflichtteilsverzicht. Sie ermöglicht es, den Pflichtteil – gänzlich oder teilweise – schon zu Lebzeiten des Erblassers zu erhalten. Das setzt natürlich dessen Einverständnis voraus. Dieser kann wiederum festlegen, dass die Schenkung auf den Pflichtteilsanspruch angerechnet wird, was bedeutet, dass der später auszuzahlende Pflichtteil entsprechend verringert wird.

Eine schwerwiegende Ausnahme: die Pflichtteilsunwürdigkeit

Unter Umständen ist es möglich, einem Anspruchberechtigten den Pflichtteil zu entziehen. Dies ist aber nur in sehr gravierenden Fällen zulässig, wenn der Erbe den Erblasser in einer Weise behandelt hat, die eine Entziehung des Pflichtteils rechtfertigt, beispielsweise indem er ihn misshandelt, bedroht, bestohlen oder verleumdet hat. Man spricht in solchen Fällen von Pflichtteilsunwürdigkeit. Trifft ein solcher Sachverhalt zu, kann man eine entsprechende Regelung ins Testament oder den Erbvertrag aufnehmen, um einen Ehepartner oder Angehörigen von der Erbfolge auszuschließen. Dafür muss aber ein konkreter Grund angegeben werden – versäumt man dies, ist der Pflichtteilsentzug ungültig. Auch Erben ist es möglich, innerhalb einer Jahresfrist den Anspruch eines Pflichtteilsberechtigten abzuwehren. Die möglichen Gründe für die Pflichtteilsunwürdigkeit werden im Bürgerlichen Gesetzbuch definiert. Interessanterweise genügt es, dem Pflichtteilsberechtigten in einer Anfechtungserklärung den entsprechenden Tatbestand vorzuhalten und ihm mitzuteilen, dass er keinen Pflichtteil beanspruchen kann. Achtung: Handelt es sich bei dem Betroffenen um ein Kind des Erblassers, rücken unter Umständen andere Verwandte als Pflichtteilsberechtigte nach.

Noch eine Absicherung durch das Gesetz: der Pflichtteilsergänzungsanspruch

Ein weiteres Recht, das den Pflichtteilsberechtigten zusteht, ist der sogenannte Pflichtteilsergänzungsanspruch. Das bedeutet, dass der Wert von Schenkungen, die der Erblasser bis zu 10 Jahre vor seinem Tod gemacht hat, dem Nachlass wieder hinzugerechnet werden muss. Der Pflichtteilsberechtigte enthält dann seinen entsprechenden Anteil am Nachlass in der neu berechneten Höhe.

Im Artikel Pflichtteilsergänzungsanspruch bei Schenkung und Übertragung erfahren Sie weitere Details zu dieser Regelung.

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